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Buchbesprechung: "Witz und Humor - Vitamine einer erotischen Kultur"



Von Michael Titze (in: www.humor.ch )
Buch Witz&Humor
Alfred Kirchmayr stammt aus Wien, einer Stadt, in der seit Jahrhunderten ideologische, kulturelle und soziale Gegensätze zu einer kreativen Synthese verschmolzen werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist seit jeher der «Wiener Schmäh», eine facettenreiche Kommunikationsform, die viel Menschenkenntnis, Chuzpe, Unverfrorenheit und (vor allem) kreative Flexibilität voraussetzt. Im Schmäh kommen provozierende Tendenzen aus unbewussten Quellen zum Zug, die prinzipiell ambivalente Auswirkungen haben. So verbindet sich das bissige «Pflanz'n» bzw. Veräppeln des Gesprächspartners mit innigen Verbrüderungswünschen diesem gegenüber. Und in solch einem emotional aufgeladenen Amalgam aus Hassliebe triumphiert schließlich jene «Hetz», die den durchschnittlichen Spaß um Längen überholt.

Im Grunde hat der Schmäh einen psychologisch verfeinerten Gemütszustand zur Voraussetzung, der im eigentlichen Sinne humoristisch ist. Kann es deshalb verwundern, dass die wichtigsten Begründer der Psychotherapie - Sigmund Freud, Alfred Adler und Viktor E. Frankl - zum einen in Wien wirkten und zum anderen einen ganz ausdrücklichen Bezug zum Witz und Humor hergestellt haben? Kirchmayr geht, als ausgezeichneter Kenner der Tiefenpsychologie, auf diesen Hintergrund ausführlich ein. Dabei nimmt er insbesondere Bezug auf Freuds wegweisende An- und Einsichten zu den «Äußerungsformen des Komischen», nämlich den Spaß, den Spott, den Witz und schließlich den Humor.

Über den Spaß wurde im Zusammenhang mit dem Wiener Schmäh ja schon gesprochen; Kirchmayr versteht ihn als eine «Äußerung der Vitalsphäre», was er im 2. Kapitel seines Buches, das die Leser in «das weite Land des Blödelns» führt, ausführlich erläutert. Hier geht es nämlich um «anarchischen Protest und Regression im Dienste des Ich», wobei die üblichen Regeln des Verstandes lustvoll aufgehoben werden: Dies zeigt Kirchmayr anhand von köstlichen Beispielen aus dem Blödelclub um Hans Weigel sowie aus dem Dadaismus, der Blödelrituale mit Tiefgang zelebrierte!

Den Spott und seine verschiedenen Varianten, die allesamt aus aggressiven Quellen gespeist werden, veranschaulicht Kirchmayr - zum Teil schön deftig! - an witzigen Beispielen aus Partnerschaft und postmodernem Geschlechterkampf. In diesen «Himmel und Hölle-Spielen» finden «die vielen schmerzlichen Kränkungen, Verletzungen und grauslichen Enttäuschungen» derjenigen, denen einmal der Himmel voller Geigen hing, ihr fulminantes Finale.
Den Witz sieht Kirchmayr als ein «eher intellektuelles Phänomen, ein Vergnügen des Verstandes beim Hervorbringen von überraschenden und völlig unerwarteten Bezügen». Die spezifischen Techniken veranschaulicht Kirchmayr im letzten Kapitel, und dabei wiederum Freuds Beispiel folgend, großenteils an jüdischen Witzen. So nimmt ein Witz inhaltlich besonders gerne auf jene Tendenzen Bezug, die im Unbewussten aufkeimen, bei ihrer Freisetzung im gesellschaftlichen Leben aber zu mehr oder weniger spürbaren Kontroversen führen können. Das ist zum einen die aggressive Tendenz, die sich besonders deutlich in politisch totalitären Zeiten entwickelt, in denen die Verspottung des normativ Gebotenen in der Regel äußerst riskant ist. Aber dieses Spiel mit dem Verbotenen ist es ja gerade, das den «inneren Clown» zum Witzereißen animiert: Dies ist nicht allein angesichts von diktatorischen Verhältnissen so, sondern ganz allgemein überall dort, wo es um den Umgang mit Tabuthemen geht. Dazu gehört (immer noch) die Sexualität, die Kirchmayr zunächst sexualwissenschaftlich und psychoanalytisch untersucht. Das mag für den Leser zunächst nach anstrengendem Studium aussehen. Doch die vielen, zum Teil recht deftigen Witze, die überall eingestreut sind, erleichtern die Lektüre beträchtlich. Kirchmayr schließt dieses 4. Kapitel mit einem «Plädoyer für eine erotische Kultur der Sexualität» ab, worunter er «eine Kultur der Selbstentfaltung und Gestaltung des sozialen Zusammenlebens [versteht], die mit Lust, Liebe und Vernunft zu tun hat.»

Die Voraussetzung dafür ist jene humorvolle Einstellung, wie sie im 7. Kapitel beschrieben wird. Sie eröffnet die Fähigkeit zur Relativierung, Selbstdistanz und zur kreativen Verarbeitung von Angst, Wut und Verletzungen. Insgesamt ist das Wesen des Humors mithin in einer synthetisierenden Kraft begründet, die Erwachsenheit mit Kindlichkeit, Ernst mit Heiterkeit, Tragik mit Komik, Glück mit Unglück und Leidenschaft mit Gelassenheit versöhnt: «Humor erwächst also aus der Synthese von kindlicher Torheit und erwachsener Weisheit.» Daraus wiederum resultiert die ausgleichende, relativierende und integrative Funktion des Humors.

Fazit: Dies ist ein Buch der Gegensätze. Einerseits fachlich fundiert, mit ernsthaftem Anspruch und bereichsweise recht anspruchsvoll geschrieben, was dem wissenschaftlich interessierten Leser entgegenkommen wird. Andererseits ist dieses Buch durch die vielen eingestreuten Witze, Anekdoten und Zitate so amüsant und leseleicht, dass es sich auch zum kurzweiligen Schmökern oder als Nachttischlektüre eignet. Aus dieser Dialektik heraus erfüllt das Buch somit alle Voraussetzungen für den Prozess der Humorentstehung, der - das weiß der Leser inzwischen - auf die Synthese von Gegensätzen hinausläuft!


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